Samstag, 23. November 2013

Special offers und Superman

Selam, arkadşlarım. Die Hälfte meiner Zeit in Istanbul ist bald vorbei, ob mans glaubt oder nicht. Ich glaube es jedenfalls nicht. Unglaublich, dass ich in nicht mal vier Monaten wieder in Deutschland bin. Da wo es Schwarzbrot gibt. Und wo Ampeln mehr als bloße Dekoelemente sind. Wo die Busse pünktlich und regelmäßig fahren. Ach halt, hat ich ja fast schon verdrängt. Wo die Busse meistens überhaupt nicht fahren. Willkommen auf dem Lande.

Da irgendwie jeder heute irgendwie irgendwo beschäftigt war brauchte auch ich irgendwas, um mich von meiner Einsamkeit abzulenken. Habe also spontan beschlossen, dem großen Bazar einen kleinen Besuch abzustatten. Auf dem ich ja, wie ich geglaubt habe, schon gewesen bin. Bin ich aber nicht. Der Bazar auf dem ich war, war der Ägyptische Bazar, oder auch Gewürzbazar genannt. Was da vor allem verkauft wird liegt denke ich auf der Hand. Ich bin damals schlicht und einfach vom großen Bazar ausgegangen weil er, naja, eben so groß war. So schnell irrt man sich. Heute also allein, an einem Samstagnachmittag in meinem leicht verwirrten und stark orientierungslosen Normalzustand auf den richtigen großen Bazar. Ich beglückwünsche mich selbst zu diesem wahnsinnig genialen Einfall und stürze mich ins Getümmel. Ein Labyrinth aus großen und kleinen Gassen, überall blinkt, glitzert, funkelt und duftet es in den verschiedensten Farben. Kann es in verschiedenen Farben duften? Hier schon. Ich bin natürlich erstmal so überwältigt dass ich glatt vergesse mir den Rückweg zu merken. Beziehungsweise dass ich versuchen wollte mir den Rückweg zu merken. Hätte so oder so nicht hingehauen.

 




Ein Touristen-Traum aus 1001 Nacht. Foto wurde unter Lebensgefahr aufgenommen, bin dem Tod durch Zertrammpeln jedoch knapp entronnen.

 
 
Sobald man den Bazar betritt wird man von 5-200 Seiten gleichzeitig lautstark willkommen geheißen und bekommt Sachen jeglicher Art angepriesen bzw. aufgedrängt. Und da man mir eben doch ansieht dass ich Ausländer bin bekomme ich die volle Dosis an Sprachvielfalt. Hier das Ergebnis meiner geistig geführten Strichliste: Die Hälfte begrüßte mich ganz konservativ-international auf Englisch, wobei die Palette hier von einem schlichten "Welcome" bis zu "Extra for you! Extra for you! Special offer! Extra for you!" reicht. Wobei letzteres doch eher beängstigend ist wenn einem dabei ein Tablett voll heißem Tee vor der Nase herumgeschwenkt wird. Überraschend oft habe ich auch ein elegantes "Bonjour, mademoiselle" zu hören bekommen, im Bestfall mit einer kleinen Verbeugung als Sahnehäubchen. Merci aber auch. Ganze fünfmal wurde ich gefragt ob ich aus Russland komme. Nein. Ein besonders schlauer Verkäufer traff dann schließlich mal ins Schwarze: "Suchen Sie etwas?" Ja, den Ausgang. Wahrscheinlich hat besagter Verkäufer meinen sehnsüchtig-heimatverbundenen Blick bemerkt, der sich natürlich beim Betrachten der Auswahl von rot-weißen "Mia san mia"-Shirts sofort eingestellt hat. Oder so ähnlich. Mein professionelles "Merhaba" hat leider niemanden so richtig davon überzeugt, dass ich 1. Kein Tourist und 2. Nicht interessiert bin.  Mehr Erfolg hatte ich da bei meinem ersten Versuch als knallharte Feilscherin, selbstverständlich auf türkisch: "Wie viel?" "50." "50? 20!" (Warum nicht in die vollen gehen?) "Na gut, sagen wir 30." "Okay, 30." (Erwartungsfroh zücke ich meine Geldbörse) "Na gut, ich geb`s dir für 20." Coole Sache.
Ach ja, Notiz an mich selbst: Nicht alles verwirrt ansehen was verwirrend aussieht. Sonst wird einem ehe man gucken kann großes Interesse an einer überlebensgroßen Superman-Figur aus Plastik unterstellt. Special offer für nur 300 Lira. Klasse, ich kann mir nichts schöneres vorstellen als mit Superman unterm Arm durch Istanbul zu spazieren. Nach dreieinhalb Stunden shoppen muss ich mir dann endgültig eingestehen warum ich nicht schon nach zwei Stunden nach Hause gegangen bin: Ich habe nicht die Spur einer Ahnung wo ich hergekommen bin. Und irgendwie sieht auch alles gleich aus. Hätte ich wohl besser Brotkrumen gestreut.
Endlich wieder in der realen Welt angekommen gönne ich mir erstmal einen großen Simit. (Sesamkringel, perfekte Beruhigung für die Nerven). Die Krümmel heb ich auf. Fürs nächste Mal.






 


Dienstag, 12. November 2013

Üs und andere schöne Dinge

Merhaba an alle. Wird wohl Zeit dass ich mich auch mal wieder aus der Versenkung melde. Dass seit meinem letzten Blogeintrag so viel Zeit vergangen ist liegt daran dass ich 1. mal wieder umgezogen bin und zwar 2. in ein sehr spannendes Stadtviertel in dem es für ein Dorfkind wie mich natürlich dauernd irgendeine spannende Ablenkung gibt, genau wie in meiner neuen Familie die 3. zwei deutschlernende und spielbegeisterte Kinder hat. Es liegt natürlich nicht daran, dass ich ein außergewöhnlich fauler Mensch bin und/oder mir mein Passwort für meinen Blog nicht mehr einfallen wollte. Braucht ihr also gar nicht denken.

Wo wir gerade bei Merhaba sind: Mit der türkischen Sprache kann ich mich immer mehr anfreunden. Ich meine allein Sätze wie "Düsünür müsünüz". Das zergeht doch auf der Zunge wie warme Butter. Leider scheint meine Zuneigung aber nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen. So übersetzt mein stets loyaler Google-Translator mein schönes "Macht euch bitte Notizen" stur mit "Bitte beachten Sie das Fleisch". Naja, also schaden kann das ja auch nicht. Perfektioniert habe ich dagegen die Sätze "Tut mir Leid, ich spreche kein Türkisch" und "Wollt ihr ein Lied singen?". Letzterer immer gefolgt von einem enthusiastischen "Yeeeeyy!!" Vom Good-Morning-Song konnte ich meine Schüler inzwischen genauso gut überzeugen wie vom ABC-Rap. Wobei es für einige Kinder ein Alphabet ohne Ü unvorstellbar scheint, weswegen es sicherheitshalber gleich an mehreren Stellen dazwischengequetscht wird. Trotzdem : Mission erfolgreich!

Es ist eigentlich unverzeihlich aber bis vor kurzem hatte ich hier noch keinen Tropfen Raki getrunken. Um diese Bildungslücke so schnell wie möglich zu schließen habe ich also einen feucht-fröhlichen Abend mit Steffi, Emre und Ömer in einer traditionellen Raki-Bar verbracht, selbstverständlich mit viel zu viel leckerem Essen. Naja, die überflüssigen Schafskäse-Kalorien kann ich ja beim lustigen Autolücken-abpassen-und-um-mein-Leben-Rennen wieder abtrainieren. Ach ja, faszinierende Sache: Wenn man auf den durchsichtigen Raki Wasser kippt wird das ganze milchig-weiß! Wissbegierig wie ich bin habe ich dieses Phänomen natürlich gleich mal gegoogelt und weiß jetzt: Das liegt am Louche-Effekt. Den ich euch ja jetzt genauer erklären würde wenn ich ihn durchstiegen hätte. Fragt Wikipedia. Oder lasst es bleiben. Es lässt sich auch ganz gut ohne dieses Wissen leben.

Am 29. Oktober war dann schließlich großer Feiertag: 90 Jahre Republik Türkei! Was mit einem riesigen Bosporus-Feuerwerk gebührend zelebriert wurde. Um aus Steffis Blog zu zitieren: "Leeeutee ich hatte 15 Minuten nuur Gänsehaut, und das hinter dem Fernseher. Wie wäre es wohl wenn ich dort gestanden wäre?" Die Frage kann ich gut beantworten, denn ich war da. Gesehen hab ich- nichts. Ab und an mal ein paar Fünkchen am Himmel. Muss allerdings zugeben, dass das ganze durch die Handykamera meines Vordermannes recht beeindruckend aussah. Und Gänsehaut hatte ich zumindest auch. War nämlich arschkalt.

Hmmm was gibt's sonst noch so. Ah, hab hier auch endlich mal eine Namensverwandte kennengelernt. Eine sehr sympathischer Golden-Retriever-Welpe. Hab mich natürlich immer gleich angesprochen gefühlt wenn es hieß: "Lena!!! Nicht sabbern!!"
Und eine neue Anekdote aus den Istanbuler Buchläden. Als der Verkäufer herausgefunden hat, dass ich Deutsche bin, hat er mich strahlend zum einzigen deutschen Buch im Laden geführt:

 
Supi, da hab ich natürlich gleich zugeschlagen! Mit nur einer neuen
 Fremdsprache bin ich schließlich unterfordert!
 
Als Vegetarierin bin ich hier ja sowieso schon eine mit Misstrauen zu betrachtende Rarität. Um nicht auch noch als horklige Deutsche dazustehn, habe ich beschlossen ausnahmslos alles andere zu essen. Was den täglichen Plastikbecher voller superscharfer Pepperoni einschließt, den ich zu meinem Teller Reis bekomme (das einzige fleischlose warme Gericht im Umkreis meiner Arbeitsstelle). Da die Pepperoni normal zu essen sich als unmöglich herausgestellt hat, ohne sich am Ende mit tränenden Augen und rotem Kopf auf dem Boden zu winden (was mir auf Dauer zu stressig wäre), habe ich eine neue, sehr nützliche Fähigkeit entwickelt: Pepperoni im Ganzen schlucken. Ist nicht so einfach wie es klingt und erfordert eine spezielle, ausgeklüngelte Schlucktechnik. An deren Perfektionierung ich momentan noch feile. Seminare gibt's dann wenn ich wieder in Deutschland bin. Ein bisschen Geduld braucht ihr also noch.